Superstädtle: Mawlamyaing

14 12 2009

Bin inzwischen in Südost-Myanmar unterwegs.

Vom Inle-See bin ich mit dem Bus durch die extrem serpentinenreichen Berge zunächst nach Bago gefahren. Die Fahrt war mal wieder ein Erlebnis ganz spezieller Art: Während die beiden jungen Männer vor mir sich schenkelklopfend und vor Lachen wild vor- und zurückwerfend über die per Video vorgeführte Familienkomödie auskippten, kotzte meine arme Sitznachbarin fast lautlos in ihre Plastiktüte und jammerte leise vor sich hin. Die Fahrt dauerte fast 12 Stunden. Gegen 5 morgens kam ich in Bago an und quartierte mich in einem ziemlich schäbigen Hotel ein.

Nachdem ich ein paar Stunden geschlafen hatte, checkte ich gleich wieder aus, da ich mich zur schnellstmöglichen Abreise entschlossen hatte. Ich kaufte gleich das nächste Busticket (wieder eine 12 stündige Fahrt über Nacht) und besichtigte bis zur abendlichen Abfahrt die Sehenswürdigkeiten der Stadt, d.h ca. ein Dutzend Pagoden und Tempel. Eigentlich wollte ich das alles zu Fuß machen. Zum Glück sprach mich aber ein cleverer älterer Moped-Taxi-Fahrer an. Er erklärte mir, dass man für die meisten Pagoden ein Sammelticket bräuchte, das 10 Dollar koste (prüfte ich im Reiseführer nach: korrekt). Er hingegen würde mich für 6 Dollar den ganzen Nachmittag von Pagode zu Pagode fahren und mich durch die Hintereingänge gratis reinschleusen. Und so machten wir’s auch. Bei jeder kostenpflichtigen Pagode freute er sich diebisch und rieb sich kichernd die Hände vor Freude, weil er die verhasste Regierung um die 10 Dollar für das Ticket gebracht hatte und ich die Pagoden trotzdem anschauen konnte.

Abends um halb 8 ging mein Bus nach Süd-Burma ab. Eine grausige Nachtfahrt mit stundenlangen Unterbrechungen wegen gesperrter Brücken und langen Passkontrollen. Um 6 kam ich völlig gerädert in Mawlamyaing am Golf von Mottama an. Ich ließ mich per Moped von Hotel zu Hotel fahren … alles ausgebucht, weil ein Thailändischer Minister mit seinem ganzen Tross zu Besuch in der Stadt war. Am Schluss landete ich in einer entsetzlichen Billig-Absteige. Gott sei Dank wurde ich in der Lobby beim Einchecken von einem freundlichen und lustigen Österreicher namens Klaus abgefangen. Er hatte schon zwei entsetzliche Nächte in der Absteige zugebracht und zog gerade in ein benachbartes Hotel um, wo noch Zimmer frei waren. Da schloss ich mich gleich an. Jetzt bin ich seit 3 Tagen in einem wunderbar komfortablen Zimmer im besten Hotel Süd-Myanmars. Es ist mit 20 EUR pro Nacht zwar doppelt so teuer wie alle anderen Hotels die ich bisher hatte – aber das gönne ich mir.

Die letzten Tage war ich mit Klaus in der Gegend auf Besichtigungstour: Einen Tag waren wir bei der Noa Labo Paya Pagode, ein bisher bei Touristen fast unbekanntes Naturwunder aus drei aufeinander stehenden vergoldeten Felsen hoch oben auf einem Berg. Wir waren ganz allein da oben, es gab gar keine Pilger.

Kaum bekanntes Heiligtum: Noa Labo Paya

Kaum bekanntes Heiligtum: Noa Labo Paya

Am Tag drauf waren wir einige Tempel, Pagoden und Klöster in und um Mawlamyaing anschauen – tolle Buddhas in allen Formen und Farben und viele andere Heiligtümer. Und natürlich jede Menge freundlicher Mönche.

Das Foto war die Idee der Mönche - auch wenn's nicht so aussieht.

Das Foto war die Idee der Mönche - auch wenn's nicht so aussieht.

Aber das allertollste ist Mawlamyaing selbst. Die Stadt gefällt mir viel besser als Yangon oder Mandalay. Sie liegt an der Mündung zweier großer Flüsse zwischen schönen grünen Hügeln mit vielen Palmen und goldenen Pagoden. Es gibt viele alte, heruntergekommene Kolonialbauten, Moscheen im Zuckerbäckerstil, und überall fahren nostalgische bunte Oldtimer-Busse mit Teakholz Karosserie herum, die noch aus Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg stammen.

Hauptstraße von Mawlamyaing

Hauptstraße von Mawlamyaing

Natürlich gibt es auch viele tolle Märkte, Tempel, Teestuben und extrem freundliche Menschen. Die Stadt ist auch bei weitem nicht so laut und schmutzig wie die anderen Städte wo ich bisher war. Deshalb will ich hier auch ein paar Tage bleiben. Klaus ist heute abgereist, wir treffen uns in einigen Tagen in Yangon wieder, weil er zufällig mit dem selben Flug ausreist wie ich.

Nachdem sich Klaus heute Mittag verabschiedet hatte, bin ich auf eigene Faust los gestiefelt. Eigentlich wollte ich es sehr gemütlich angehen lassen, ein bisschen in der Stadt rumlaufen, mich dann irgendwo auf einem Hügel mit Blick über die Stadt in den Schatten setzen und lesen. Und nach Möglichkeit mit den Einheimischen in Kontakt kommen.

Letzterer Wunsch wurde mir schon nach 10 Minuten Spaziergang erfüllt. Ein Mann winkte mich zu sich heran, rief „Welcome, welcome, please, please“ und wies mir den Weg in ein Gebäude. Also schaute ich mal vorsichtig rein was es da gab. Drin war eine Hindu Hochzeit in Gang, die Gäste nahmen mich gleich in Empfang und bevor ich’s mich versah saß ich dem Brautpaar gegenüber an einem langen Tisch und wurde zum indischen Mittagessen eingeladen. Ohje ohje, dachte ich, wie komme ich aus der Nummer raus, mein Magen verträgt doch nichts. Vor mir wurde ein Bananenblatt ausgebreitet, darauf wurde aus Plastikeimern mit den bloßen Händen Reis und verschiedene Curry-Gerichte aufgehäufelt. Also gut dachte ich, ein bisschen was muss ich höflichkeitshalber essen. Ich probierte vorsichtig (mit der Hand, Besteck gab es nicht) – und ich muss sagen: Ich habe noch nie so leckeres indisches Essen gehabt. Ich vergaß alle Vorsicht und aß alles ratzeputz weg. Mittlerweile hatten sich um mich mehr Gäste versammelt als um das Brautpaar, was mir ziemlich peinlich war.

Die Hochzeit ist eine ernste Angelegenheit. (Aber nicht für mich.)

Die Hochzeit ist eine ernste Angelegenheit. (Aber nicht für mich.)

Eine freundliche Frau um die Fünfzig nahm mich unter ihre Fittiche, sie war Englischlehrerin und erklärte mir alles, was vor sich ging. Wir unterhielten uns eine Weile und als die Hochzeit vorbei war, bat sie mich, doch mit zu ihr nach Hause zu kommen und ihre Familie kennen zu lernen. Über die Einladung habe ich mich natürlich sehr gefreut! Wir fuhren also zu dritt per Moped in einen Vorort der Stadt in ihr bescheidenes Häuschen. Sie lebt dort mit ihrer Mutter, einem ihrer Brüder und einigen anderen weitläufigen Verwandten in einem winzigen Holzhaus. Als Lehrer verdient man in Myanmar umgerechnet 20 Dollar im Monat. Das reicht nichtmal hier zum Überleben. Also legen alle zusammen und kommen so irgendwie über die Runden. Strom gibt es nur alle paar Tage mal, wenn überhaupt. Gekocht wird auf dem Feuer. Es gibt kein Bad, man wäscht sich im Hof am Brunnen. Das Klo: Ein Bretterverschlag mit Loch im Boden. Es gibt einen großen Wohnraum und ein paar winzige Schlafkammern im zweiten Geschoss. Das Haus war aber sehr sauber und ziemlich gemütlich. Da saß ich also, umringt von ca. zehn Leuten und wurde über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Burma ausgefragt, sie wollten einfach alles wissen.

Meine Gastgeberinnen (mit Thanaka!)

Meine Gastgeberinnen (mit Thanaka!)

Ich erzählte also von Deutschland – vom Wetter (Schnee im Winter), dem Bildungssystem, der Krankenversicherung, der Scheidungsrate, der kaum vorhandenen Religiosität, davon dass es weder Bananen noch Palmen gibt (großes Erstaunen). Ich wurde gefragt, ob es bei uns auch so hässliche alte Busse gibt wie bei ihnen und ich sagte, dass ich die Oldtimer Busse total super finde. Da schrien sie vor Überraschung und Amusement.

Sie wollten auch wissen, ob es in Deutschland denn auch Armut gibt. Ohje, heikles Thema. Ich erzählte von Hartz IV und gab zu, dass eigentlich jeder ein Dach über dem Kopf hat, auch genug zu essen, sogar Strom und fließendes Trinkwasser, auch Schulbildung, medizinische Versorgung und ja, auch Fernsehen. Ich schämte mich fast, meinen Gastgebern sowas als „Armut“ zu verkaufen. Wie erwartet wurde mit ungläubigem Staunen reagiert, aber auch mit großer Erheiterung. Jedenfalls haben wir den ganzen Nachmittag über viel gelacht.

Also ich muss echt sagen: Hier lernt man einiges dazu und fängt ganz schnell an, sein Weltbild zu hinterfragen. Ich habe den allergrößten Respekt vor den Leuten hier. Trotz echt harter Lebensbedingungen sind sie immer freundlich und offen, haben allerbeste Umgangsformen, einen tollen Humor, sehr viel Würde und Anstand – und sind übrigens auch immer sauber und ordentlich gekleidet. Und die Freundlichkeit und Gastfreundschaft ist schier überwältigend. Die paar Stunden, die ich dort war, wurde ich nicht nur permanent mit Kaffee, Tee, Obst und Kuchen versorgt, sondern auch zweimal bekocht – zuerst gab es Mohinga, eine Nudelsuppe mit Fisch und Gemüse und zum Abendessen Reis mit verschiedenem Curry-Gemüse. Auch hier machte ich mir zunächst Sorgen um meinen Magen, aber das Essen war so unglaublich köstlich, dass ich mir nachschöpfen ließ, worüber sich die Familie maßlos freute. Abends brachte mich meine Gastgeberin dann an die Hauptstraße, und ließ es sich nicht nehmen, mir eine Moped-Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Wahnsinn. Ich bin immer noch regelrecht erschüttert über so viel Gastfreundschaft und Warmherzigkeit.

Jetzt sitze ich in meinem Hotelzimmer, während direkt vor meinem Fenster eine Familienfeier mit ca. 300 Gästen steigt. Seit zwei Stunden sind Karaoke Auftritte bei maximaler Lautstärke und mit minimalem Gesangstalent im Gang. Ohrenbetäubend, trotz Oropax. Aber ich habe heute Toleranz und Demut gelernt…