Easy Rider durch’s zentrale Hochland
5 02 2010Nach Da Lat hatte ich ja die Wahl zwischen der Route am Meer entlang von Strand zu Strand. Oder durch die Berge auf dem Ho Chi Minh Pfad. Da sich Strände ja im allgemeinen sehr ähneln, entschied ich mich für die Route durchs Hinterland, wo auch die ganzen „Minderheiten“ leben (das hört sich so despektierlich an, heißt aber so ). Ich versuchte eine Bustour zu buchen, auf der die kleinen, interessanten Orte angesteuert wurden, aber vergeblich. Für eine Person machen die das nicht, und wenn, dann ist es viel zu teuer.
Also buchte ich mir ein Motorrad mitsamt Fahrer für fünf Tage – und das war die bislang beste Entscheidung auf meiner Reise! Zuerst war ich ehrlich gesagt schon etwas skeptisch. Aber nach einer Probefahrt auf der schweren taiwanesischen „Bonus“ Maschine und einer Inspektion meiner Gepäckgröße („no problem“) schlug ich ein.

Hit the Road Jack
Mein Fahrer hieß Yang, war 35, hatte Englisch und Geschichte studiert, kannte sich also bestens aus und konnte es auch verständlich erklären. Außerdem war er ein ausgesprochen umsichtiger und gelassener Motorradfahrer, der nie ein Risiko einging. So konnte ich mich den Umständen entsprechend sicher fühlen. Ich hatte also einen Fahrer, Reisebegleiter, Tour Guide, Dolmetscher und kulinarischen Berater in Personalunion – besser geht’s ja nicht!
Fünf Tage lang kurvten wir mit gemütlichen 50 bis 60 km/h fast 900 Kilometer durch das zentrale Hochland. Es ging von Da Lat am Lak Lake vorbei nach Buon Ma Thuot, von da nach Kon Tum, Thanh My und von da runter nach Hoi An. Wir steuerten Orte und Dörfer an, die man als Tourist sonst nie zu Gesicht bekäme. Über die Gegend um Buon Ma Thout steht im Loose „Leider können bei weitem nicht alle Dörfer besucht werden, da das Verhältnis der Minderheiten zur Regierung nicht das beste ist und allein im Umland herum reisende Ausländer generell verdächtig sind, als Aufwiegler tätig zu sein.“ Aber ich hatte ja einen Vietnamesen dabei, der mich überall den Leuten freundlich vorstellte und als Dolmetscher fungierte (obwohl er auch manchmal die Dialekte nicht verstand). Ich traf jedenfalls nur ausgesprochen freundliche Menschen, die mich bestimmt nicht für eine Aufwieglerin hielten.
Wir besuchten verschiedene „ethnischen Minoritäten“, z.B. die Kontum K’pong, die Kontum K’nam, die E De und die M’Nong in ihren Dörfern. Das sah noch aus wie vor hundert Jahren, einfache Langhäuser mit Schnitzereien und Totempfählen, offene Feuerstellen, Schweine in ihren Schlammsuhlen, Bambusinstrumente und große Tonkrüge für Reiswein. Überall sprangen struppige Kinder rum und schrien winkend „Hello!“. Alles wirkte total altertümlich und ursprünglich. Wenn da nicht die nagelneuen Honda Mopeds gewesen wären, die unter jedem Langhaus parkten. Ich sagte ja schon: Ein Moped geht immer, egal wie arm eine Familie ist.
Und Handys natürlich auch. Da sieht man verstrubbelte Kinder mit zerlumpten Klamotten, die einem barfuß hinterher rennen und ganz aufgeregt sind, weil sich mal ein Westler in ihr Dorf verirrt hat. Und man denkt: Mensch, jetzt mache ich denen mal ne Freude und mache ein Foto mit der Digitalkamera. Bestimmt haben die sich noch nie auf einem Display gesehen. Aber bevor man seine Kamera zücken kann, haben die Kids schon ihre Nokia Handys rausgezogen und machen selbst eifrig Fotos.
Wenn mir auf der Fahrt der Hintern zu sehr weh tat, setzte mich Yang an der Strecke aus, so dass ich ne Weile zu Fuß gehen und die Landschaft anschauen konnte. Er wartete dann ein Stück weiter und sammelte mich wieder auf. Wenn es an der Strecke irgenwo etwas interessantes zu sehen gab, hielten wir an und ich konnte mir alles in Ruhe anschauen und erklären lassen.
Besonders interessant fand ich den Totenkult der diversen Minderheiten. Größtenteils wurden die ja von französischen Missionaren zum Christentum bekehrt. Sie behielten aber Rituale und Glaubensinhalte ihrer Naturreligionen bei, sodass bizarre Mischreligionen entstanden, die sich besonders anschaulich auf den Friedhöfen manifestierten. Da waren zum Beispiel typisch christliche Gräber mit Christenkreuz oben drauf … und daneben stand jeweils ein kleiner Totempfahl aus Holz mit den geschnitzten Charakterzügen des Verstorbenen.
Jetzt weiß auch auch endlich, welchem Zweck das viele Falschgeld dient, das überall verkauft wird: Während unserer Fahrt wurden wir von einem Krankenwagen mit heulender Sirene überholt, aus dessen Fenstern Falschgeldscheine flatterten. Das Auto zog eine regelrecht Geldspur hinter sich her. Ich sagte „Ohje, hoffentlich nichts ernstes“, und Yang sagte trocken „Der Patient ist schon tot.“ Er erklärte mir, dass die Scheine dazu dienen, die bösen Dämonen abzulenken, die dem Krankenwagen hinterher jagen um sich die Seele des Verstorbenen zu schnappen. Die Dämonen sind aber so raffgierig, dass sie sich leicht durch Geldscheine von ihrer Verfolgung ablenken lassen. Das selbe Ritual passiert auch bei einer Beerdigung, auch da werden Geldscheine vertreut.
Papiergüter spielen sowieso eine große Rolle beim Totenkult. Auf den Märkten sieht man alle möglichen Gegenstände aus Papier, z.B. Kleider, Fahrräder, Handys, Schmuck, Mopeds, Pferde oder Autos. Die kosten ordentlich viel Geld, manchmal sogar so viel wie das Original. Um die Verstorbenen zu ehren, werden die Papiersachen verbrannt und die Asche ins Wasser verstreut. So haben die Angehörigen im Himmel alles was sie zu einem angenehmen Leben benötigen. Was sie allerdings da oben mit Mopeds oder Handys anfangen, konnte mir Yang auch nicht so richtig erklären.
Am zweiten Abend weihte mich Yang in das beliebte und bei vielen Männern täglich stattfindende Ritual des Reiswein Trinkens ein.Wir kauften einen ominösen Tonkrug, der aber keine Flüssigkeit zu enthalten schien. Auf dem Hotelbalkon bereitete Yang das Getränk zu, indem er fast zwei Liter Wasser in den Krug füllte, in dessen Öffnung sich ein Batzen einer knetartigen Substanz befand. Als alles Wasser darin versickert war, bastelte er aus den mitgelieferten Bambusröhrchen und transparenten Gummischläuchen biegsame Trinkhalme, die er mit viel Kraftaufwand durch die Knetmasse in die Tiefen des Krugs bohrte. Dann konnte das Trinkgelage los gehen. Der Reiswein schmeckte ganz ähnlich wie Calvados, nur saurer und nicht ganz so stark. Da macht’s dann eher die Menge. Der Abend war ganz lustig, zumal sich nach einer Weile noch ein älterer vietnamesischer Geschäftsmann dazu gesellte (der zuvor im unmittelbar benachbarten Hotelzimmer die Dienste einer Prostituierten in Anspruch genommen hatte), der ordentlich mit pichelte stolz Bilder seiner Frankfurtreise auf seinem Laptop präsentierte.

Reiswein trinken
Je weiter wir auf unserer Fahrt nach Norden kamen, umso bergiger und dschungeliger wurde die Landschaft. Irgendwann folgten wir dem alten Ho Chi Minh Pfad, auf dem während des Kriegs heimlich und unerkannt Waffen und Truppen von Nordvietnam in den Süden transportiert wurden. Damals handelte es sich tatsächlich um einen Pfad bzw. eine schmale Straße unter dem schützenden Blätterdach des Dschungels. Nach dem Abwurf unzähliger Bomben, dem Besprühen mit Agent Orange und dem nach dem Krieg stattfindenden Raubbau an der Natur ist von dem Blätterdach allerdings nichts mehr übrig. Und der HoChi Minh Pfad wurde inzwischen auf weiten Strecken zu einem Highway ausgebaut. Yang ließ mich ein kleines Stück auf dem Original-Pfad wandern. Da konnte ich mir ziemlich eindrücklich ein Bild davon machen, wie strapaziös die Mission der Viet Cong war. Insgesamt war der Pfad (mit allen Schlingen, Serpentinen und Alternativrouten) ganze 22.000 km lang. Und das wurde alles zu Fuß zurück gelegt. Alter Schlappen.

Die Berge kurz vor der Grenze zu Laos

Überrest des alten Ho Chi Minh Pfads

Dschungel mit Baumfarnen und Wasserfällen.
Auch kulinarisch war die Motorradtour ein Erlebnis. Wir kehrten ja immer nur in den Restaurants und Garküchen der Einheimischen ein, die nicht auf westliche Touristen eingerichtet waren. Ich trug Yang auf, mir immer ein Potpourri verschiedener vegetarischer bzw. fischiger Gerichte zu ordern. So bekam ich endlich mal die Sachen zu essen, die ich mir sonst mangels Sparchkenntnisse niemals hätte bestellen können. Manches davon war allerdings leider ungenießbar, z.B. die gallenbittere Bittermelonensuppe.

Unbekannte Köstlichkeiten
Am dritten Tag besuchten wir ein Waisenhaus in einer katholischen Mission. Zuerst wollte ich da ja gar nicht hin, weil ich befürchtete, dass man von den armen Waisen belagert wird, die unbedingt von einem Westler adoptiert werden wollen. Viele Kinder wurden im Waisenhaus abgegeben, weil sie unehelich geboren wurden oder weil sich die Eltern kein weiteres Kind leisten können. Ich befürchtete herzzerreißende Szenen und ein endlos schlechtes Gewissen, weil ich kein Kind mitnehmen kann. Genau das Gegenteil war der Fall. Die Kinder interessierten sich nicht die Bohne für mich. Sie waren viel zu sehr mit Spielen beschäftigt und mit den Vorbereitungen des Abendessens. Jeder hatte eine Aufgabe – die einen stellten die kleinen Tische und Stühle zurecht, andere legten kleine Kissen darauf, andere trugen das lecker aussehende Essen auf oder halfen in der Küche mit. Dabei herrschte eine ausgelassene, warme und fröhliche Stimmung wie in einer großen Familie. Ich erfuhr, dass die Kinder alle zur Schule gehen und von kleinauf ein soziales Miteinander in der Gemeinschaft lernen. Die älteren Kinder kümmern sich mit um die jüngeren, und jeder hat seine Aufgabe. Als ich mich verabschiedete, hatte ich das Gefühl, dass es den Kindern dort richtig gut geht. Vielleicht sogar besser als so manchem Kind bei uns in Deutschland. (Aber das trifft wahrscheinlich auch nicht unbedingt auf alle Waisenhäuser in Asien zu…)

Typischer Anblick: Reisbauern
In den fünf Tagen sah ich außerdem wie Backsteine, Räucherstäbchen, Tapioka-Stärke, Kaffee, Seide und Reispapier hergestellt wurden. Wir besuchten Wasserfälle, in deren Nähe ich auch in einem türkisblauen natürlichen Pool schwimmen ging. Wir aßen frische Ananas vom Strauch, mit Salz und Chilli. Wir besuchte einen Freund von Yang, der mir seine 3,5 Meter lange Python um den Hals legte. Wir besichtigten einen „Minderheiten-Themenpark“ (purer Kitsch) mit angeschlossener Krokodilfarm. Wir besuchten eine bizarre Kirche der Cao Dai Religion, die eine bunte Mischung aller Religionen ist: es werden nicht nur Jesus, Buddha und Konfuzius verehrt sondern auch diverse Schriftsteller, Poeten und Revolutionsführer. Da unterhielt ich mich eine Weile mit einem zahnlosen 90jährigen Mönch – allerdings ohne uns gegenseitig zu verstehen, da er einen vietnameischen Dialekt sprach und ich deutsch (Störte uns aber nicht).

20 Kilo Schlange

Wenn Wasser drunter ist habe ich gar keine Höhenangst...

Ich muss immer alle Tiere anfassen. Das wollte der Wasserbüffel nicht und stieß mit dem Horn nach mir. Hat mich aber nicht erwischt.
Am fünften Tag erreichten wir in Hoi An. Yang machte sich gleich auf den Weg zurück nach Hause, ich machte es mir in einem netten Hotel bequem. Habe schon jetzt beschlossen, auf die Reise nach Nordvietnam zu verzichten, damit ich einige Tage hier bleiben kann. Ich muss mich ja auch mal ausruhen…
Hallo Marion,
Das ist ja kaum zu glauben was Du da unternommen hast. Allein schon diese Tour auf dem Motorrad und 5 Tage mit dem jungen Mann als Begleiter. Hattest Du keine Angst? Dir wird das Leben in der Heimat ja richtig langweilig vorkommen ohne diese tollen Abenteuer. Aber Hauptsache es hat Spaß gemacht und Du bist Heil geblieben. Und das ganze exotische Essen hast Du gut vertragen? Mutig, mutig!!
Dann mach mal weiter so, aber gib auf Dich acht!
Renate und Siegfried
Hi Marion,
🙂 Abenteuer pur was du da machst. Freue mich schon dich wiederzusehen und mir erzählen zu lassen wie die Reise war. Glaube wenn du wieder hier bist kriegst du einen echten Kulturschock. LG Nico
Liebe Marion,
gehts DIr gut?
Sag doch mal: wie findest Du bloß immer die netten Menschen, die Dich sicher und informativ durch die Gegend kutschieren und Dir -würdige Dinge anbieten (sehens-, -essens, wissens-, kennenlern-, ausprobier- …)? Und diesemal alles in Personalunion.
Mit dem Motorrad 5 Tage durchs Hochland: da musste Dein Hintern schon ganz schön abgehärtet sein. Aber Du konntest ihn ja immer wieder bei Bedarf „entspannungswandern“. Du siehst übrigens ziemlich zünftig auf der Machine aus. Entspannt grinsend mit Helm… Sogar als Schattenriss.
Dein Reisweintrinken sieht ja beinah wie Sangria bei Ballermann aus 🙂 Zumindest die Dimension des Halmes ist vergleichbar. Auch die Auswirkungen?
Mit: keine Höhenangst, wenn Wasser drunter; da gehts Dir wie mir.
Und wies Dir mit dem zahnlosen Mönch ging, so gehts mir hier immer wieder mit den Eingeborenen. Meist weiß ich dann aber unter dem Strich, was sie so wollten. Du auch?
Übrigens, nimm doch vorsichtshalber kein Falschgeldmuster mit. Wer weiß, ob die Behörden da Spaß verstehen?
Mach et juut. Halte die Ohren steif. Bleib gesund und pass auf Dich auf. Erhole Dich gut in Hoi An.
Uta und Klaus
Ho, Ho, Ho Chi Minh!!!!
Ich hoffe Du hattest den alten Schlachtruf, beim überschreiten der heiligen Trails, auf den Lippen.
Ich hab die Tage gelesen, das so’n „Grünen“ Politiker, der mit zu viel Geld auf die Welt kam, in jungen Jahren sein Vermögen dem Viet Cong vermacht hatte. Um endlich arm zu sein, oder so?????
Wissen die Leute da unten das und sind deshalb so zuvorkommend zu Dir, oder kriegen die die Gastfreundschaft mit der Muttermilch.
Ich war ja bisher dem „Schlitzaugen“ als Solchen und im Allgemeinen immer skeptisch gegenüber. Kommt warscheinlich vom Amerikanische-Vietnamkriegsfilme gucken. Deine Berichte haben aber meine Meinung korrigiert und machen Lust auf mehr.
Bis dann
Mark
Hi Marion,
das erinnert einen schon fast an die Pösiealben aus Schulzeiten.
Klasse Bericht, der wieder nach viel, viel Spaß klingt. Du siehst gut erholt aus. Mir wird ganz schwummrig bei der Vorstellung, wie unwohl du dich möglicherweise in Karlsruhe fühlen wirst. Denk an den schönen Markt, den Komfort deiner Wohnung und eh die Wanderungen in der Pfalz mit scheuerndem Knie. Hast du wirklich mit dem alten Mönch Deutsch geredet?? Der Arme und er Viemanensisch?? Perfekt.
Nun denn trotz allem bis bald
Nette