Prost Neujahr aus Hanoi
16 02 2010Nach einem eintägigen Zwischenstop in der Kaiserstadt Hue bei unerträglichen 40°C bin ich mit dem letzten Übernacht-Bus nach Hanoi weiter gefahren. Einen Platz im Sleeper Bus konnte ich leider nicht mehr ergattern, auch alle Züge waren schon Monate zuvor ausgebucht, denn die wichtigsten vietnamesischen Feiertage standen an: Tet. Das chinesische Neujahrsfest.
Ich hatte die umfangreichen Tet Vorbereitungen schon in Hoi An und Hue beobachten können, und auch in Hanoi liefen sie auf Hochtouren, als ich zwei Tage vor dem Fest in der Stadt ankam. Die Vietnamesen putzen ihre Häuser von oben bis unten durch, streichen die Fenster und Türen, waschen und polieren ihre Mopeds, schleppen tonnenweise Blumen in ihre Wohnungen und Geschäfte und transportieren meterhohe Orangenbäume per Moped durch die Gegend. Schon Tage vor Tet bricht eine regelrechte Deko-Hysterie aus.

Typischer Anblick vor Tet: Orangenbaum on the Road.
Dementsprechend aktiv waren die Vietnamesen in Hanoi. Der Straßenverkehr ist ähnlich unerbittlich und mörderisch wie in Saigon. Hunderttausende von Mopeds, die im Volltempo durch die Gegend brettern und einem kaum eine Chance lassen, Straßen heil zu überqueren. Ampeln gelten höchstens als Empfehlung, verpflichten aber keineswegs zum Anhalten. Mehrmals bin ich bei Grün über eine Fußgängerampel gegangen und wurde von vorbei rasenden Mopeds touchiert. Es wird auch gerne auf dem Gehweg mit Volltempo um Ecken geschossen. Kein Wunder ist Vietnam weltweiter Spitzenreiter bei Verkehrstoten – um die 15.000 pro Jahr. Kein Wunder! Seit ich das weiß bin ich noch vorsichtiger geworden. Wer noch mehr wissen will, hier ist ein interessanter Link zum Verkehr in Hanoi:
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/0,1518,465539,00.html
Am Tag vor Tet habe ich Ho Chi Minh in seinem monumentalen Mausoleum besucht. Das ist eine bierernste Angelegenheit. Man wird gefilzt als würde man die amerikanische Botschaft betreten. Kameras muss man abgeben. Man wartet respektvoll, bis sich die Wächter in ihren schneeweißen Militär-Uniformen vor dem Eingang ausmarschiert und ihren kleinen choreographischen Zirkus aufgeführt haben. Dann darf man gemessenen Schrittes ins Mausoleum hinein schreiten. Damit auch niemand vergisst, angemessene Ehrfurcht zu zeigen, stehen alle fünf Meter weitere weiß uniformierte Männer und weisen einen zurecht, wenn man die Hände in den Taschen stecken hat oder wenn man spricht oder gar lacht. Der Strom der Schaulustigen bewegt sich dann langsam, schweigend und mit schlaff herab hängenden Armen in den Raum mit dem Glassarg hinein, umrundet ihn einmal und schreitet auf der anderen Seite wieder raus. Gruselig. Ho sieht aus wie eine Wachspuppe mit flusigen Haaren dran. Aber er scheint echt zu sein. Jedes Jahr wird er nach Moskau geflogen und frisch gemacht. Komischer Brauch, aber mir gefällt sowas ja.

Das Ho Chi Minh Mausoleum
Abends war ich zur Abwechslung in der Wasserpuppen-Show. Ich hatte nicht viel erwartet, aber es war überraschend nett anzuschauen. Die Bühne besteht aus einem Wasserbecken, die Puppen werden an untergetauchten Stangen durch das Wasser bewegt, so dass sie wie lebendig wirken. Und alles so schön bunt! Hat mir jedenfalls besser gefallen als die Marionetten-Show in Mandalay.
Als Kontrastprogramm habe ich das „Hanoi Hilton“ besichtigt, das Hoa-Lo Gefängnis (bzw. was davon übrig ist). Das haben die Franzmänner Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, um aufmüpfige Vietnamesen einzusperren und zu malträtieren. Später haben die Vietnamesen dann die amerikanischen Kriegsgefangenen da eingesperrt, vor allem abgeschossene Piloten. Auch John McCain (der republikanische Präsidentschaftskandidat, der gegen Obama verloren hat) hat hier sechs Jahre verbracht. Sein gesamtes Piloten-Outfit mitsamt Original Fallschirm ist in einer Vitrine ausgestellt. Die Vietnamesen scheinen ganz stolz auf den ehemaligen Gast zu sein. Dass McCain aber auch aufs übelste gefoltert wurden (z.B. tagelang an seinen beiden gebrochenen Armen aufgehängt), das erfährt man nicht. (Dazu muss man in Wikipedia gucken). Insgesamt ist der Ort natürlich mal wieder sehr bedrückend und grausig. Und die zuvor augebaute Sympathie gegenüber den Viet Cong verflüchtigt sich wieder…

Einzelzimmer im Hanoi Hilton
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar war es dann so weit: die große Neujahrssause konnte steigen, mit Bühnen überall in der Stadt, aufgebretzelten Horden von Vietnamesen, Zuckerwatte- und Popcornverkäufern – und Tausenden von Leuten im Tet-Fieber, vor allem rund um den Kiem See im Stadtzentrum. Um Mitternacht dann der vielstimmig runtergezählte Countdown, der in ABBAs „Happy New Year“ in Endlosschleife und einem Feuerwerk gipfelte. Letzteres versetzte die Vietnamesen in solche Hysterie und Begeisterung, dass man wie eine willenlose Puppe durch die Menmschenmassen geschoben wurde. Jeder Böller und jede Rakete wurde von ehrfürchtigen Ooh- und Aah-Rufen untermalt. Dabei war das Feuerwerk ehrlich gesagt eher poplig. Da ist das Abschlussfeuerwerk der Herbstmess‘ in Karlsruhe spektakulärer.
Am Tag nach Tet war die Stadt wie ausgestorben. Wo die beiden Tage vorher noch ungezügelter Mopedverkehr getobt hatte: Leere Straßen. Wo vorher noch Läden, Restaurants und Kneipen mit regem Publikumsverkehr gewesen waren: runtergelassene Rolläden. Wo zuvor noch Marktstände und Straßenküchen auf Kundschaft gewartet hatten: Leere Gehwege. Als hätten sich Millionen von Vietnamesen plötzlich in Luft aufgelöst. Unheimlich.

Vor Tet: Mopeds wohin man schaut...

... und während Tet: Leere Straßen
Und unheimlich öd. Dazu ein beschissenes Novemberwetter – grau, Nieselregen, zwischen 10°C und 14°C. Ich wollte die fade Stadt verlassen und eine Tour in die Umgebung buchen, ging aber nicht, weil kaum was angeboten wurde, und die wenigen Plätze waren schon weg. Das war das erste Mal auf meiner Reise, dass ich echt die Zeit totschlagen musste. Ich verbrachte die drei Feiertage vorwiegend lesend und essend in den wenigen geöffneten Cafes und Restaurants. Zwischendurch marschierte ich durch die grauen Straßen und besuchte den einen oder anderen Tempel. Bizarr fand ich die vielen Sachspenden in Form von Pyramiden aus Bierdosen und Keksen, die auf den Altären drapiert waren. Komische Götter sind das … aber auch sehr sympathisch.

Bierspende im Tempel ...

... und der dazu gehörige Gott.
Gestern ging ich ins (zum Glück geöffnete) Cineplex Kino und schaute mir „Avatar“ in 3D an. Das fand ich bei dem Wetter und unter den Tet-Umständen eine Spitzenidee. Wer allerdings schonmal mit mir im Kino war, der weiß, wie ungehalten ich auf Geräusche anderer Kinobesucher reagiere, vorallem auf Fressgeräusche. Ohje, ohje. Schlechte Idee, in einem Land ins Kino zu gehen, wo Rücksichtnahme völlig unbekannt ist und generell auch schmatzend mit offenem Mund gegessen wird. Die schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Das Schmatzen und Knuspern und Rascheln war so laut, dass ich zeitweise die Filmtonspur nicht hören konnte. Dazu klingelten dauernd irgendwo die Handys und es wurde ausgiebig laut telefoniert. Alle paar Minuten standen Leute auf und gingen im Kino umher. Ich habe innerlich gekocht. Trotzdem hab ich’s nicht bereut. Wer den Film gesehen hat, kann sich vorstellen, welchen Reiz es darstellt, diese Story in einem vietnamesischen Kino anzuschauen. Man kann sich wohl vorstellen, welches Identifikationspotential die Geschichte für die Vietnamesen haben muss. Das ist ja quasi ihre eigene Geschichte, wie sie hier gesehen wird: Böse Invasoren mit mächtigen, überlegenen Kriegsmaschinen fallen in ein grünes Land ein, dessen quasi unbewaffnete ländliche Bevölkerung sich mit einfachen, cleveren Mitteln und viel Gemeinschaftssinn und Kampfgeist erfolgreich zur Wehr setzt und den Feind schließlich vertreibt. Nur die Größenverhältnisse der Kontrahenten haben nicht gestimmt. Aber davon ganz abgesehen: Allein die 3D Effekte sind überwältigend. Muss man gesehen haben. Man will eigentlich gar keine Filme mehr in 2D sehen, wenn man weiß was möglich ist.
Morgen verlasse ich die Stadt wieder. Ausgerechnet dann, wenn das Leben hier wieder losbrodelt. Aber ich hab lange genug ausgeharrt, morgen früh geht’s für drei Tage in die Halong Bucht. Da freue ich mich auch schon drauf!

Da trinke ich das Bia Hanoi doch lieber selbst. Prost Neujahr!
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